Bisherige Rechtsprechung zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz
Zugunsten der übrigen benachteiligten Gläubiger durch Anreicherung der Insolvenzmasse hatte der BGH dem Insolvenzverwalter die Darlegung dieses Schuldnervorsatzes erleichtert. Schließlich ist der Vorsatz des Schuldners als „innerer Vorgang“ von Natur aus schwer darzulegen und zu beweisen.
Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung entsprach die Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit gleichzeitig seinem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Er wusste also bei Vornahme einer Rechtshandlung zugunsten eines Einzelgläubigers (z.B. Befriedigung, Besicherung), dass er damit seine anderen Gläubiger benachteiligt – und dies auch wollte. Der Schuldner nahm also billigend in Kauf, seine übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht befriedigen zu können.
Aus dieser Folgerung war es in den letzten Jahren zu einer deutlichen Ausweitung der Vorsatzanfechtung gekommen. Nicht nur betroffene Anfechtungsgegner, denen also Rückzahlungen zur Insolvenzmasse abgefordert wurden, empfanden die Vorsatzanfechtung als zu weitgehend. Teile der Insolvenzrechtswissenschaft, aber auch die Urteilspraxis der Instanzgerichte argumentierte häufig zugunsten der Anfechtungsgegner.
Neue Rechtsprechung zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz
An dieser dem Schuldner bislang höchstrichterlich unterstellten Billigung, auch künftig seine sonstigen Gläubiger nicht befriedigen zu können, setzt der BGH nun zu einer sachgerechten Einschränkung an:
Ist die Krise des Unternehmens schon zu weit fortgeschritten, kann es nicht mehr ernsthaft darauf hoffen, in absehbarer Zeit alle Gläubiger befriedigen zu können. Dies ist dann der Fall, wenn die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht hat, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung aller Gläubiger erwarten lässt.
Jedoch reicht eine momentane Liquiditätslage nach Ansicht der Karlsruher Richter dann nicht mehr für eine Vorsatzanfechtung aus, wenn die Krise noch nicht zu weit fortgeschritten ist.
Gleiches gilt, wenn aus anderen Gründen berechtigte Hoffnung auf Überwindung der Krise besteht, z. B. die sichere Aussicht,
- demnächst Kredit zu erhalten oder
- ausstehende Forderungen zu realisieren.
In diesen Fällen fehlt die erforderliche Überzeugung vom Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen. Insoweit ist nach Auffassung des BGH bereits von der Rechtsfolgenseite fraglich, ob der Gesetzgeber tatsächlich eine weitgehende Gleichstellung zwischen verdächtiger (inkongruenter) und vertragsgemäßer (kongruenter) Deckung wollte. Die Vorsatzanfechtung bestimmt einen Anfechtungszeitraum von 10 Jahren. Er ist also gegenüber § 131 und § 130 InsO mit ihrem Suspektionszeitraum von drei Monaten deutlich verlängert bzw. verschärft.
Von entscheidender Bedeutung ist nach dem neuen Prüfrahmen des BGH, ob der Schuldner trotz leerer Kassen bei der Rechtshandlung ernsthaft Hoffnung haben darf, dass er in Zukunft wieder alle Gläubiger bedienen kann.
Diese Hoffnung ist ihm dann zuzugestehen, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung noch gar nicht zahlungsunfähig ist, sondern lediglich droht, zahlungsunfähig zu werden. An seiner gegenteiligen Rechtsprechung hält der BGH ausdrücklich nicht mehr fest.
Um diese tatrichterliche Abgrenzung zu ermöglichen, ist nun nicht mehr der Anfechtungsgegner, sondern der Insolvenzverwalter verantwortlich (darlegungs- und beweisbelastet). Mit diesem neuen Grundsatz können Erkenntnishorizont und Erkenntnismöglichkeiten des Anfechtungsgegners, die in der Praxis häufig sehr eingeschränkt bestehen, besser berücksichtigt werden als bisher.
Eine Entscheidung, die Vertragspartnern insolventer Unternehmen Mut machen kann: insbesondere bei kongruenter Deckung – wenn also der Gläubiger das erhält, worauf er Anspruch hat – existieren zahlreiche Fälle, bei denen man nicht von einem bösen Willen des Schuldners ausgehen kann.
Dann kann der Gläubiger sich gegen die Vorsatzanfechtung u. U. erfolgreich wehren und muss das durch die Rechtshandlung Erlangte nicht zurückgeben.