Am 24.12.2020 um 14:44 Uhr haben sich die EU und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland (UK) auf ein Handelsabkommen geeinigt. Zuvor war UK ja bereits zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Das Austrittsabkommen vom 17.10.2019 regelte einige wichtige Punkte, vor allem die Fortgeltung von EU-Recht in UK bis zum Ende der Übergangsphase am 31.12.2020. Was dann passieren sollte, war lange noch offen und viele fürchteten einen „harten Brexit“, also einen Brexit ohne endgültiges Austrittsabkommen.
Auch der Bereich der justiziellen Zusammenarbeit stand auf der Kippe. Würde man Urteile weiter vollstrecken können? Kann man sich weiter auf Gerichtsstandsvereinbarungen verlassen? Würden Gerichte beiderseits des Ärmelkanals Rechtswahlklauseln gleich auslegen?
1. Das Brexit-Handelsabkommen: für Gerichtsverfahren eine Enttäuschung
Und dann das Handelsabkommen. 1246 Seiten mit detaillierten Ausführungen zu vielen Bereichen, aber für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit ist das Ergebnis ernüchternd. Auch nach mehrmaligem Durchforsten des Dokuments finden sich keine Regelungen zu der gerichtlichen Zuständigkeit und Gerichtsverfahren im Allgemeinen (bspw. doppelte Rechtshängigkeit), die so wichtige gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und das anwendbare Recht in Gerichtsverfahren. Dieses erst einmal unwirklich erscheinende Ergebnis bestätigen aber auch andere Juristen (auf zpoblog.de wird beispielsweise ganz plastisch und zutreffend von einem „sektoralen harten Brexit“ gesprochen).
Und letztlich bleibt es dann also bei den Ergebnissen der bisherigen drei Folgen der Brexit Reloaded-Serie, ohne dass ich mir dies gewünscht hätte. Es bleibt nur bei dem minimalen Vertrauensschutz, den das erste Abkommen, das Withdrawal Agreement aus dem Oktober 2019 bietet, hier noch einmal im Überblick:
2. Brexit Reloaded and Updated (1): Auswirkungen auf Gerichtsverfahren
Es bleibt bei den Feststellungen des ersten Teils der Brexit Reloaded-Serie zu den Auswirkungen auf Gerichtsverfahren. Grundsätzlich profitieren Verfahren, die vor dem Jahresende eingeleitet werden, von einem Vertrauensschutz. Sie richten sich weiterhin nach den Regelungen des noch anwendbaren EU-Rechts. Auch wenn es nicht mehr praktikabel sein mag, ist der einzig wirklich sichere Weg für Gerichtsverfahren, diese noch vor Jahresende einzuleiten. Zukünftig sollte bei Streitbeilegungsklauseln eine Schiedsklausel sorgfältig erwogen werden.
3. Brexit Reloaded and Updated (2): Auswirkungen auf Vollstreckung von Urteilen
Auch für den zweiten Teil der Brexit Reloaded-Serie (Auswirkung auf Vollstreckung von Urteilen) gilt, dass sich durch das Handelsabkommen leider nicht ändert. Es findet sich im gesamten Dokument bedauerlicherweise keine Regelung zur Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus dem jeweils anderen „Land“ (EU für UK und umgekehrt). Das ist extrem bedauerlich, weil dies einer der ganz wichtigen Punkte bei der Rechtssicherheit im gerichtlichen Bereich ist. Diesen lässt das Abkommen aus bzw. überlässt ihn nationalen Regelungen (wie genau ist im zweiten Teil nachzulesen).
4. Brexit Reloaded and Updated (3): Auswirkungen auf das in Gerichtsverfahren anwendbare Recht
Auch zur Bestimmung des anwendbaren Rechts, also den sogenannten Kollisionsregeln oder IPR, schweigt das Abkommen. Diese hatten wir im dritten Teil der Serie behandelt. Zwar hat UK die EU-Kollisionsregeln in nationales UK-Recht umgewandelt und will diese auch beibehalten, aber das kann sich ändern und sorgt so für weitere Rechtsunsicherheit. Immerhin bestimmen sich Verträge, die vor dem 31.12.2020 geschlossen werden, einschließlich ihrer Rechtswahlklauseln weiterhin nach EU-Recht. Das bestimmt das Withdrawal Agreement.
5. Ergebnis
Das Handelsabkommen ist sicherlich ein großer Erfolg und so kurz vor dem „effektiven“ und möglicherweise harten Brexit. Leider ist es für die Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit eine Enttäuschung, denn es enthält keine Regelungen zu Gerichtsverfahren, Vollstreckung und Kollisionsregeln. Unternehmen werden daher auch weiter mit einer gewissen Unsicherheit leben müssen. Praktikabel mag es nicht mehr sein, Verfahren noch vor Jahresende zu beginnen, aber es wäre die sicherere Wahl gewesen. Ab 2021 sollten Unternehmen ihre Rechtswahlklauseln und Streitbeilegungsklauseln im UK-Kontext bedacht wählen und formulieren. Vielleicht empfiehlt sich eine Schiedsklausel, vielleicht doch eine Gerichtsstandsvereinbarung (dann aber umso deutlicher formuliert). Vielleicht sollte UN-Kaufrecht statt nationales Kaufrecht gewählt werden (ohnehin eine gute Idee). Beratung schadet in diesem unsicheren Umfeld nicht.
Bei Fragen zum Brexit hilft Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Johannes Brand.