Situation aus der Beratungspraxis
In einem mittelständischen Familienunternehmen erfahren die Geschäftsführung oder die Inhaber, dass einzelne Mitarbeiter planen, erstmalig einen Betriebsrat zu wählen. Seit Jahrzehnten besteht das Unternehmen, ohne dass das bisher ernsthaft in Erwägung gezogen wurden. Den Gesellschaftern/Inhabern und der Geschäftsführung schießen Gedanken durch den Kopf wie: Was hat sich verändert? Weshalb soll nun das familiäre Miteinander gestört werden? Wir sind doch ein Betrieb, in dem schon die Eltern der derzeitigen Mitarbeiter gelernt und ihren Lebensunterhalt verdient haben oder noch verdienen. Wir hatten doch immer rauschende Weihnachtsfeiern, sind ein Betrieb, in dem jeder jeden persönlich kennt, wo man sich auch privat trifft. Die Kinder der Mitarbeiter gehen in dieselbe Schule, sind Mitglied in denselben Sportvereinen usw. Das Vertrauen scheint erschüttert – ein ungutes „Gefühl“ kann sich einstellen. Spätestens jetzt sollten die Geschäftsführung bzw. die Gesellschafter handeln.
Analyse der Ursachen
Nicht, dass ein Betriebsrat schlecht für das Unternehmen sein muss. Oftmals kommen im gemeinsamen Dialog zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat sehr konstruktive und zukunftsweisende Ideen zustande. Wird aber urplötzlich der Wunsch nach einem Betriebsrat laut, so liegt im Betrieb nicht selten etwas im Argen. Manchmal schwelt ein unkommunizierter Konflikt, der nun eruptiert. Oftmals entwickeln Mitarbeiter dann erstmals Ambitionen einen Betriebsrat zu gründen: Denn, wenn es entweder generell Missstände (oder vermeintliche Missstände) im Betrieb gibt, oder sich einzelne Mitarbeiter ungerecht behandelt fühlen.
Hier fällt der Geschäftsführung die Aufgabe zu, die Konflikte aufzudecken. So mag ein neuer Vorgesetzter einen Führungsstil leben, der mit dem bisherigen (familiären) Betriebsklima nicht kompatibel ist. Oder es gab Umstrukturierungen, die auf dem Papier verlockend klangen, bei genauerer Betrachtung aber nicht zum Charakter des Familienbetriebs passten. Oder es wurden Führungsentscheidungen getroffen, die nicht zu Ende gedacht waren und so für Unmut in der Belegschaft führen. Zu denken wäre auch an einen Mitarbeiter, der sich bei einer Beförderungsentscheidung übergangen fühlt – ob zu Recht oder zu Unrecht. Verbreitet dieser Mitarbeiter nun schlechte Stimmung, streut Gerüchte, spielt Mitarbeiter und Geschäftsleitung gegeneinander aus? Es kann aber auch ein Konflikt der Generationen (Nachwuchs wird nicht gefördert oder wird nicht eingebunden oder wertgeschätzt) oder der Geschlechter sein (Stichwort „gläserne Decke“). Das lässt sich natürlich auch übertragen auf andere, nicht familiengeführte Unternehmen.
Fehlentwicklungen, sollte nicht nur schnellstmöglich analysiert, sondern auch – erforderlichenfalls – korrigiert werden. Das bedeutet freilich nicht, dass unberechtigten Forderung nachzukommen wäre oder sich die Geschäftsführung den Wunschvorstellungen der Mitarbeiter kritiklos fügt. Oft hilft es bereits, die innerbetriebliche Kommunikation zu verbessern und Strukturen zu entwickeln, die es den Mitarbeitern ermöglicht, sich einzubringen. Das können Workshops sein, aber auch ein Projekt-/Abteilungs-/Tätigkeits-/Hierarchieübergreifender Austausch. Und zur vertrauensvollen Zusammenarbeit gehört auch etwas Toleranz.
Steuert die Geschäftsführung oder der Inhaber auf diese Weise gegen, kann es gelingen, Wahlambitionen im Sande verlaufen zu lassen. Denn bis es tatsächlich einen Betriebsrat gibt, sind es noch viele Schritte. So muss zunächst eine Wahlversammlung einberufen werden, auf der ein Wahlvorstand gewählt wird. Dieser organisiert dann die eigentliche Betriebsratswahl, die ein paar Wochen später stattfindet. Informationen zum Ablauf der Betriebsratswahl
Keine Empfehlung
Wenig empfehlenswert- neben dem Aussitzen der Situation – ist, aggressiv eine Wahl zu verhindern. Zum Repertoire gehören hier (oftmals) zum Beispiel:
- nicht hinreichend begründbare Kündigungen,
- Hausverbote oder
- Unterlassungsanträge beim Arbeitsgericht usw.
Die Praxiserfahrung zeigt aber: erfolgreich sind diese Maßnahmen fast nie – zumindest nicht mittel- und langfristig. Das Resultat:
- die Fronten verhärten,
- bisher nicht engagierte Mitarbeiter solidarisieren sich mit dem Wahlinitiatoren,
- es gibt negative Presse (Schuld hat dann der Arbeitgeber),
- die Gewerkschaft schaltet sich ein usw.
Und bedacht werden muss auch, dass der besondere Kündigungsschutz für Wahlinitiatoren durch die jüngsten Änderungen durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz noch einmal erweitert wurde. Informationen zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Natürlich muss auch gehandelt werden, bspw. wenn ein Betriebsrat unter Verkennung des Betriebsbegriffs [Link: https://buse.ernstdev.de/insights/betriebe-und-betriebsteile/] (Wahl in nur einem unselbständigen Standort) oder sonst rechtwidrig gewählt werden soll. Rechtswidrigkeiten können zum Beispiel sein, dass einzelne Mitarbeiter ausgeschlossen werden oder die Wahl soll ohne Wahlvorstand stattfinden soll usw.). Und natürlich muss bei erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen über personelle Maßnahmen nachgedacht werden. Das kann und sollte aber in Kombination mit o.g. proaktiven Mitteln erfolgen. Informationen zu Eingriffen in Betriebsratswahlen
Umgang mit dem ersten Betriebsrat
Kommt es zu einer Betriebsratswahl, sollte von Beginn an der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit beherzigt werden. Und auch wenn Betriebsräte oftmals übersehen, dass die vertrauensvolle Zusammenarbeit keine alleinige Bringschuld des Arbeitgebers ist, sollte der Arbeitgeber diesen Weg nicht verlassen. Das bedeutet wiederum nicht, jede Aktion des Betriebsrats klaglos hinzunehmen. Es ist sehr wichtig, dass die Geschäftsführung, aber auch die anderen Führungskräfte, wissen, welche Rechte der Betriebsrat hat, aber auch wo die Grenzen sind. Hier bietet sich eine klare Inhouse-Schulung an. Nicht bewährt haben sich gemeinsame Schulungen unter Beteiligung von Führungspersonal und Betriebsrat. Eine Einzelfallabwägung ist deshalb anzuraten. Das ist wichtig, weil sich der Betriebsrat von Beginn an schulen lässt (hierauf besteht grundsätzlich ein Anspruch) und sich im Konfliktfall externe Unterstützung holen wird (auch das kann zulässig sein). Diese externen Einflüsse kommen dann durch die Gewerkschaft (die bei der Gelegenheit auch gleich mal schaut, warum es im Betrieb keinen Haustarifvertrag gibt) oder durch einen auf die Vertretung von Betriebsräten spezialisierten Rechtsanwalt. Beide Akteure haben keine Verbindung zum mittelständischen Betrieb. Oftmals stehen finanzielle oder ideologische Interessen im Vordergrund. Dass dies der gedeihlichen Entwicklung des Betriebs nicht dienlich ist, liegt auf der Hand. Jahrzehnte gelebter Betriebskultur können so schnell zerstört werden. Dazu tragen auch und insbesondere arbeitsgerichtlich ausgetragene Konflikte bei.
Ansonsten empfiehlt es sich, den Betriebsrat gleich voll einzubinden, (erforderliche) Schulungen zu gewähren oder gar proaktiv anzuregen und die notwendigen Mittel bereitzustellen (Betriebsratsraum, ggf. auch nur temporär, Sachmittelausstattung etc.). Zudem ist es ein Vorteil, dass die Rechtsprechung nicht jede betriebliche Regelung, bspw. zur Dienstplanung, für unwirksam erklärt, nur weil ein Betriebsrat gewählt wurde, der nun mitzubestimmen hat (eben auch bei der Dienstplanung). Der Arbeitgeber sollte zeitnah selbst Betriebsvereinbarungsentwürfe vorlegen (also z.B. zur Dienstplanung, für Überstunden, zur Urlaubsplanung, für Betriebsferien etc.) und nicht warten, bis der Betriebsrat damit kommt. Denn er wird kommen, spätestens nach den ersten Schulungen. Zudem bleibt so Zeit die „Dickschiffe“ der Mitbestimmung gut vorzubereiten, wie etwa die mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung. Platziert der Betriebsrat dieses Thema, sind externe „Experten“ nicht weit, denen es teilweise (selbstredend nicht immer) darum geht, maximalen Profit auf Kosten des Unternehmens zu machen. Am Ende steht dann nicht selten eine praktisch nicht umsetzbare Betriebsvereinbarung, die eines vor allem nicht ist: ein Gewinn für die Beschäftigten. Einen Überblick der wichtigsten Mitbestimmungstatbestände haben wir hier zusammengestellt.
Wenn es nicht mehr „friedlich“ geht
Wie bereits gesagt, kann und muss sich der Arbeitgeber nicht alles von einem Betriebsrat gefallen lassen. Wenn der Betriebsrat bspw. eine Mitbestimmung oder Beteiligung einfordert, wo sie nicht besteht, Schulungen besuchen möchte, die ersichtlich nicht erforderlich sind, oder exzessiv Mittel einfordert, die er nicht für erforderlich halten darf, sollte der Arbeitgeber eine gerichtliche Klärung oder eine Einigungsstelle nicht scheuen. Einer sorgfältigen Abwägung von Kosten und Nutzen ist dabei ebenso wichtig, wie eine gute Beratung zur Rechtslage. Wichtig ist aber, dass sich der Arbeitgeber seinerseits betriebsverfassungskonform verhält. Aber auch an alternative Konfliktlösungen sollte die Geschäftsführung (frühzeitig) denken, wie bspw. an eine Mediation oder ein Güterichterverfahren beim lokalen Arbeitsgericht.
Lösung
Bestehen Ambitionen einer Betriebsratswahl sollte weder in den Aggressionsmodus geschaltet noch in eine Abwehrhaltung oder Lethargie verfallen werden. Vielmehr können jetzt noch die Weichen in eine gedeihliche Zukunft gestellt werden. Anderenfalls kann es teuer werden, mitunter auch richtig teuer. Viele Unternehmen konnten sich mit der richtigen Wahl der ersten Schritte erheblichen Ärger ersparen.
Weiterführende Links:
- Umgang und Verhandlungen mit dem Betriebsrat
- Betriebsratswahlen 2022
- Betriebsänderungen, Sozialpläne und Interessenausgleich