Der neue Kodex versucht einen Balanceakt: Er will zum einen der Entwicklung Rechnung tragen, dass ökologische und soziale Themen an Bedeutung gewonnen haben und dementsprechend in Unternehmen berücksichtigt werden sollen. Andererseits soll dem Management genug Spielraum bleiben, um frei zu entscheiden, wie sich die Nachhaltigkeitsthemen am besten umsetzen lassen. Die im Konsultationsverfahren häufig geäußerte Kritik, dass ökologische und soziale Aspekte zu stark und einseitig betont würden, hat die Regierungskommission aufgegriffen.
Neuer Schwerpunkt Nachhaltigkeit
Im Kern geht es bei der Überarbeitung des Deutschen Corporate Governance Kodex darum, die Kriterien Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung oder Environment, Social, and Governance (ESG) stärker zu betonen. Börsennotierte Gesellschaften sollen in ihrer Unternehmensstrategie und -planung auch soziale und ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigen und überwachen. Laut Kodexbegründung können sich die Unternehmen bei der Auslegung der Nachhaltigkeitsbegriffe an den 17 Zielen der UN für nachhaltige Entwicklung orientieren.
Weitere Anpassungen waren notwendig mit Blick auf das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) sowie des zweiten Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG II).
Die elf wichtigsten neuen Regelungen im Überblick
1. Sozial- und Umweltfaktoren in der Unternehmensleitung
Die Präambel beschreibt die Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft und seine gesellschaftliche Verantwortung. Im Fokus steht somit nicht allein die Outside-in-Perspektive, also der Einfluss von Umwelt- und Sozialfaktoren auf den Unternehmenserfolg. Darüber hinaus sind nach der Inside-out-Perspektive auch die Auswirkungen des Unternehmens auf Mensch und Umwelt einzubeziehen. Vorstand und Aufsichtsrat haben dies bei der Führung und Überwachung im Rahmen des Unternehmensinteresses zu berücksichtigen. Diesen Schwerpunkt bringt sehr deutlich die neue Empfehlung A.1 zum Ausdruck.
2. Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats umfasst Nachhaltigkeit
Der DCGK 2022 stellt in Grundsatz 6 allgemein fest: Die Überwachung und Beratung des Vorstands durch den Aufsichtsrat umfasst auch Nachhaltigkeitsfragen.
3. Kompetenzprofil und Qualifikationsmatrix für den Aufsichtsrat
Laut Empfehlung C.1 Satz 5 wird das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats um Expertise zu den für das Unternehmen relevanten Nachhaltigkeitsfragen erweitert. In der Erklärung zur Unternehmensführung soll der Stand der Umsetzung in Form einer Qualifikationsmatrix offengelegt werden.
4. Internes Kontrollsystem und Risikomanagementsystem
Mit dem FISG hat der Gesetzgeber bereits verdeutlicht: Die Risikobetrachtung des bisher vor allem finanzorientierten Internen Kontroll- und Risikomanagementsystems ist auf operative Risiken für das jeweilige Unternehmen auszuweiten. Grundsatz 4 des neuen Kodex knüpft hier an und stellt klar: Um die Angemessenheit und Wirksamkeit der Systeme sicherzustellen, bedarf es einer internen Überwachung.
5. IKS und Risikomanagement muss Nachhaltigkeits-Ziele erfassen
Darüber hinaus lautet Empfehlung A.3 des neuen Kodex: Interne Kontroll- und Risikomanagementsysteme sollen künftig auch nachhaltigkeitsbezogene Ziele umfassen und die Erfassung sowie Verarbeitung von Nachhaltigkeits-Daten mit einschließen.
6. Stellungnahme im Lagebericht
Gemäß Empfehlung A.5 sollen IKS und Risikomanagementsystem sowie die Angemessenheit und Wirksamkeit der Systeme im Lagebericht beschrieben werden.
7. Angemessenes Compliance Management System
Der Kodex stellt in Grundsatz 5 klar: Die Einrichtung eines internen Kontroll- und Risikomanagementsystems umfasst auch ein Compliance Management System, das der Risikolage des Unternehmens angemessen ist.
8. Mindestbeteiligung der Geschlechter
Grundsatz 9 greift die gesetzliche Regelung des FüPoG II zur Mindestbesetzung im Vorstand beziehungsweise zur Definition von Zielgrößen auf.
9. Einrichtung des Prüfungsausschusses
Laut Grundsatz 14 ist ein Prüfungsausschuss einzurichten. Ein solcher wird nicht mehr bloß empfohlen. Hintergrund ist der infolge des FISG neu eingeführte § 107 Abs. 4 Satz 1 AktG.
10. Qualifikation der Finanzexperten im Prüfungsausschuss
Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses soll nach Grundsatz 15 über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung verfügen, mindestens ein weiteres Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung. Neu hinzugekommen ist die Empfehlung D.3: Sie sieht vor, dass zu den Kenntnissen und Erfahrung in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und interner Kontroll- und Risikomanagementsysteme sowie den Kenntnissen und Erfahrungen in der Abschlussprüfung auch Kenntnisse in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung gehören.
11. Bericht über Form der Aufsichtsratssitzungen
Laut Empfehlung D.7 soll im Bericht des Aufsichtsrats angegeben werden, wie viele Sitzungen von Aufsichtsrat und Auschüssen in Präsenz oder als Video- oder Telefonkonferenz stattfanden.
Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten und Investoren achten immer mehr auf ökologische, soziale und transparente Unternehmensführung. Wie bereits berichtet, kommen neue Gesetze wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die EU Pläne für die Corporate Sustainability Reporting Directive oder die Corporate Sustainability Due Diligence Directive hinzu, die ESG-Themen mehr Nachdruck verleihen. Dieser Entwicklung trägt nun auch die Neufassung des Corporate Governance Kodex Rechnung und verstärkt die Verantwortung von Vorständen und Aufsichtsräten für Nachhaltigkeit und Soziales. Der Vorstand soll künftig ESG-Aspekte in Unternehmensstrategie und -planung verankern. Dementsprechend sind die ESG-Kriterien auch im Fokus der Überwachung durch den Aufsichtsrat. Die Unternehmensleitung bewegt sich künftig also in einem Spannungsfeld von Profit versus Nachhaltigkeit. Die gute Nachricht lautet: Adressaten, die jetzt proaktiv handeln und etwaigen Handlungsbedarf analysieren, sind nicht nur für die nächste Entsprechenserklärung gewappnet. Die frühzeitige Vorbereitung auf die ESG-Regulierung kann auch Wertschöpfungspotenziale erschließen: etwa durch Kosteneinsparungen mit Hilfe von Energie-Effizienzmaßnahmen oder den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft, um die Abhängigkeit von knappen Ressourcen zu reduzieren. Auch im größeren Mittelstand ist das Thema längst angekommen und es hat sich bereits gezeigt, dass die aktive Zuwendung zu den ESG-Kriterien einen entscheidenden Image- und Wettbewerbsvorteil hat.