Eine Kündigung knüpft der Gesetzgeber an strenge Bedingungen, wie wir bereits berichtet haben. Will sich ein Unternehmen von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter trennen, kann es deshalb sinnvoll sein, im beiderseitigen Einverständnis einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Dabei sind weder der Kündigungsschutz zu beachten noch Kündigungsfristen und auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebs- oder Personalrats. Doch bei der Verhandlung über einen Aufhebungsvertrag gibt es einiges zu bachten:
BAG zeigt rote Linien für Verhandlungssituationen auf
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Fallgruppen entwickelt, wann eine Verhandlungssituation gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstößt (Urteil vom 19.02.2019 – 6 AZR 75/18). Mit einer Entscheidung vom Februar diesen Jahres hat das höchste deutsche Arbeitsgericht seine Rechtsprechung weiter konkretisiert und Spielräume ausgelotet (BAG, Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).
Der Sachverhalt
In dem Verfahren stritten die Parteien über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Die Klägerin war als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigt und wurde zu einem Gespräch gebeten mit dem Geschäftsführer und einem Rechtsanwalt für Arbeitsrecht. Diese warfen ihr vor, sie habe unberechtigt Einkaufspreise im IT-System der Beklagten reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Nach rund zehn Minuten Pause, in der die drei Anwendenden schweigend am Tisch saßen, unterzeichnete die Klägerin den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag.
Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an. Die Beklagte habe gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags sei ihr eine außerordentliche Kündigung sowie eine Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte um eine längere Bedenkzeit und die Einholung von Rechtsrat sei nicht entsprochen worden. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht Hamm hat sie abgewiesen.
Die Entscheidung
Die Revision der Klägerin vor dem BAG blieb ohne Erfolg. Die Anfechtung scheide aus, weil es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung fehlte. Denn ein verständiger Arbeitgeber habe im vorliegenden Fall sowohl eine außerordentliche Kündigung als auch eine Strafanzeige gegen die Klägerin durchaus in Erwägung ziehen können. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, dürfe er sie nicht in Aussicht stellen, um den Arbeitnehmer dadurch zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen.
Einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns konnte das BAG ebenfalls nicht erkennen. Dieses schütze die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners. In zu missbiligender Weise werde diese etwa beeinflusst, wenn der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation aufbaut oder ausnutzt, die eine freie Entscheidung erheblich erschwert oder unmöglich macht. Dies sei abzugrenzen von der Situation, in der ein Arbeitgeber ein nur „Jetzt und Heute“ anzunehmendes Angebot unterbreitet. Denn dies entspreche dem gesetzlichen Leitbild des § 147 BGB, wonach ein unter Anwesenden unterbreitetes Angebot grundsätzlich nur sofort angenommen werden kann. Dem Arbeitnehmer stehe es schließlich frei, das Angebot nicht anzunehmen und die Situation durch ein schlichtes „Nein“ zu beenden. Dass dies nur möglich ist, indem er das Angebot des Aufhebungsvertrags ausschlägt, bewertet das BAG nicht als unfair. Im Rahmen von Vertragsverhandlungen sei dies ein zulässiges Druckmittel. Der Arbeitgeber versuche damit auf legitime Weise, sein Verhandlungsziel zu erreichen. Das gelte auch, wenn der Arbeitgeber der Bitte des Arbeitnehmers um weitere Bedenkzeit und Einholung von Rechtsrat nicht nachkommt.
Indizien für Verstoß
Letztlich kommt es auf die gesamten Umstände im Einzelfall an. Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns kann laut Rechtsprechung beispielsweise vorliegen, wenn der Arbeitgeber auf dem Weg zum Vertragsschluss
- eine Drucksituation oder eine Form von Überlegenheit zu seinen Gunsten einsetzt und beispielsweise objektiv erkennbare körperliche oder psychische Schwächen und unzureichende Sprachkenntnisse bewusst ausnutzt, um eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers erheblich zu erschweren oder unmöglich zu machen,
- den Arbeitnehmer unter einem Vorwand ins Zimmer bittet und dort mehrere Stunden kreuzverhörartig und von Außenkontakten isoliert festhält,
- den Arbeitnehmer völlig unerwartet zu ungewöhnlicher Zeit oder an ungewöhnlichem Ort überrumpelt.
Zulässige Verhandlungssituationen und Druckmittel
Demgegenüber ist in der Regel kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns anzunehmen, wenn der Arbeitgeber beispielsweise
- mit einer außerordentlichen Kündigung droht und als verständiger Arbeitgeber eine solche etwa wegen einer schwerwiegenden Pflichtverletzung auch in Erwägung ziehen durfte,
- Kritik am Verhalten des Arbeitnehmers äußert und dieser daraufhin betroffen reagiert,
- keine Vorkehrungen trifft, um die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers zu gewährleisten, indem er diesen beispielsweise befragt, ob er krank ist oder ihn beeinträchtigende Medikamente einnimmt,
- weder Bedenkzeit noch die Möglichkeit einräumt, Rechtsrat einzuholen,
- dem Arbeitnehmer kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt,
- nicht im Vorfeld ankündigt, dass er einen Aufhebungsvertrag anbieten will.
Stolperfallen für Arbeitgeber lauern auch auf dem Weg zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen müssen HR-Verantwortliche das Gebot des fairen Verhandelns stets im Blick behalten. Das Bundesarbeitsgericht hat hiefür Leitlinien markiert. Ratsam ist, die Inhalte und den Verlauf einer Besprechung anschließend zu dokumentieren.