Das Fraunhofer Institut hat im Auftrag von VW die Folgen von Elektromobilität und Digitalisierung für Quantität und Qualität der Beschäftigung bis 2030 untersucht. Ergebnis der Studie: Der Abbau von Jobs in diesem Jahrzehnt fällt deutlich geringer aus als befürchtet. Strategische Gegenmaßnahmen wie die Erschließung neuer Geschäftsfelder würden Beschäftigungseffekte im Bereich der Elektromobilität abfedern. Infolge des hohen Initialaufwands bei der Digitalisierung komme es mittelfristg sogar zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen. Bei vorausschauender Planung ließen sich die quantitativen Veränderungen im Fall von VW sozialverträglich gestalten – auch aufgrund der demografischen Entwicklung. Die qualitativen Veränderungen verlangten allerdings einen teils massiven Kompetenzaufbau. Wie letzteres gelingt, haben wir in den Folgen 1 und 2 unserer Serie bereits geschildert. Als weiteren Erfolgsfaktor, um die Transformation zu gestalten, nennt die Studie neue Partnerschaften zwischen OEMs, Zulieferern, Wissenschaft und Politik, worüber wir ebenfalls berichtet haben.
Vorausschauend planen
Doch insbesondere bei Zulieferern gibt es oft keine Eins-zu-eins-Kompensation von Verbrennerkomponenten. Es werden Arbeitsplätze wegfallen und nicht jeder Mitarbeiter oder jede Mitarbeiterin kann oder will sich für neue Tätigkeitsprofile qualifizieren. Freiwilligenprogramme können einen Ausweg eröffnen, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Allerdings sind sie meist mit hohen Abfindungen verbunden. Sofern ein Personalabbau unabwendbar ist, bewährt es sich deshalb, wenn Unternehmen frühzeitig ein langfristiges Konzept entwickeln, um den Weiterbildungsbedarf zu decken. Denn je früher der Betrieb mit der Qualifizierung für die Kompetenzen der Zukunft startet, desto geringer ist das Risiko, dass die Auswahl von Arbeitnehmer*innen für eine Weiterbildung nach sozialen Gesichtspunkten angreifbar ist. Ansonsten drohen Kündigungsschutzklagen, weil die Bestimmung der zu qualifizierenden Mitarbeiter nicht die Sozialauswahl für den Fall der Kündigung umgehen darf.
Für betriebsbedingte Kündigung gelten strenge Regeln
Führen Digitalisierung und Dekarbonisierung und der damit verbundene Umbau im Unternehmen zu einem Personalabbau, handelt es sich in der Regel um betriebsbedingte Kündigungen: Der Arbeitgeber hat dauerhaft keinen Bedarf, den Mitarbeiter am aktuellen oder einem anderen Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen. Was dabei zu beachten ist, beschreiben wir in unserem aktuellen Update Kündigung. Tücken birgt in der Praxis vor allem die Sozialauswahl: Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) muss das Unternehmen unter allen vergleichbaren Arbeitnehmern diejenigen identifizieren, die am wenigsten schutzwürdig und daher vorrangig zu kündigen sind. Entscheidende Kriterien sind:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- Lebensalter,
- Unterhaltspflichten oder
- eine etwaige Schwerbehinderung.
Fallstricke bei Massenentlassungen
Besondere Vorsicht gilt, wenn mehrere Beschäftigte innerhalb von 30 Tagen entlassen werden. HR muss prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Massenentlassung nach § 17 Kündigungsschutzgesetz vorliegen, die bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen ist. Der Begriff Massenentlassung ist insofern irreführend, als je nach Betriebsgröße der Schwellenwert schon bei Aufhebungsverträgen oder Kündigung von mehr als fünf Mitarbeitern erreicht sein kann. In diesem Fall bedarf es besonderer Vorsicht und Sorgfalt, denn das Verfahren ist sehr formell und fehleranfällig. Die Folgen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige sind gravierend: Sämtliche anzeigepflichtigen Entlassungen sind dann unwirksam. Wie sollten Unternehmen vorgehen?
- Im ersten Schritt erfolgen Information und Beratung mit dem Betriebsrat. Die Arbeitnehmervertreter*innen sind mindestens zwei Wochen vor der Benachrichtigung der Agentur für Arbeit schriftlich zu informieren – zusammen mit dem Angebot, darüber frühestens eine Woche nach Benachrichtigung zu beraten. Die Beratung endet nach Stellungnahme des Betriebsrats.
- In Schritt zwei folgt die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit. Entsprechende Formulare stellt die Behörde zur Verfügung. Der Betriebsrat muss eine Kopie der Unterlagen erhalten:
- Sowohl gegenüber dem Betriebsrat als auch der Agentur für Arbeit muss der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 3 KSchG darlegen:
- Die Gründe der geplanten Entlassungen,
- Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer*innen,
- Zahl und Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Mitarbeiter*innen,
- Zeitraum, in dem die Entlassungen geplant sind,
- Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie
- Kriterien, die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehen sind.
In einer aktuellen Entscheidung vom 19.05.2022 hat das Bundesarbeitsgericht anders als die Vorinstanzen klargestellt: Erforderlich sind nur diese in § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG genannten „Muss“-Angaben. Fehlen die „Soll“-Angaben aus § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG wie Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit, führt dies nicht zwingend dazu, dass die Entlassungen unwirksam sind. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist laut den obersten Arbeitsrichtern in Erfurt geklärt, dass diese Angaben auch nicht gemäß Art. 3 Abs 1 Unterabs. 4 der EU-Massenentlassungsrichtlinie in der Anzeige enthalten sein müssen.
- Erst nachdem die Arbeitsagentur den Eingang der Massenentlassungsanzeige bestätigt hat, sollte der Arbeitgeber kündigen beziehungsweise die Aufhebungsverträge abschließen.
Die digitale und grüne Transformation führt insbesondere in der Autoindustrie zu einem beispiellosen Umbau. Zum Erfolg wird dies nur, wenn die Veränderung positiv besetzt ist, weil die Weiterbildung im Vordergrund steht und der Prozess angstfrei abläuft. Tatsächlich bestehen in Zeiten des Fachkräftemangels viel bessere Chancen als in früheren Umbruchphasen, dass freigesetzte Beschäftigte Jobs in anderen Firmen finden, die Mitarbeiter*innen suchen. Das gilt insbesondere, wenn bestehende Instrumente wie Transfergesellschaften zukunftsfähig weiterentwickelt werden für Re- und Upskill von Kompetenzen, die gesucht sind. Falls es zu einem Personalabbau kommt, lauern vor allem bei Massenentlassungen Fallstricke, die Arbeitgeber teuer zu stehen kommen können.