Insbesondere größere Unternehmen bieten ihren Mitarbeiter*innen häufig freiwillige Grippeschutzimpfungen im Betrieb an, nicht zuletzt um Fehlzeiten vorzubeugen. Doch was gilt, wenn es zu einer Folgeerkrankung kommt?
1. Folgeerkrankung nach betrieblicher Grippeimpfung – Anspruch auf Entschädigung?
Das Landessozialgericht Mainz traf im September letzten Jahres eine Grundsatzentscheidung: Macht der Arbeitgeber ein freiwilliges Impfangebot, besteht kein Anspruch auf Entschädigung gegen die Berufsgenossenschaft, falls ein Arbeitnehmer eine schwere Folgeerkrankung erleidet.
Im konkreten Fall hatte ein Gastronomieleiter geklagt, der für eine GmbH mit verschiedenen Gastronomiebetrieben tätig war, unter anderem der Küche einer Klinik. Der Krankenhausträger stellte allen Mitarbeitern mit Patientenkontakt kostenlos Imfstoff gegen Influenza zur Verfügung. Dabei teilte er mit, dass die Teilnahme an der Impfung freiwillig sei. Der Kläger nahm an der Impfung teil.
Arbeitnehmer erkrankt Jahre später
Einige Jahr später entwickelte sich bei ihm unter anderem ein unklarer autoinflammatorischer Prozess. Der Gastronomieleiter führte dies auf die Impfung zurück und forderte Entschädigungsleistungen von der Berufsgenossenschaft. Diese lehnte ab. Auch die Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.
Freiwilligigkeit ist entscheidend
Das Landessozialgericht in Mainz teilte diese Auffassung und sah in der Folgeerkrankung ebenfalls keinen Arbeitsunfall. Die wesentlichen Argumente:
- Die Teilnahm an der Grippeschutzimpfung war freiwillig.
- Sie diente nicht einer objektiv bestehenden Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhätnis.
- Es bestand weder aus dem Tarif- oder Arbeitsvertrag eine Pflicht zur Teilnahme.
- Es gab keine Weisung des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts.
- Allein die subjektive Vorstellung des Klägers, die Impfung diene auch den Interessen des Arbeitgebers, genügt nicht.
- Die Immunisierung sei auch nicht aufgrund eines erhöhten Infektionsrisikos bei der Tätigkeit notwendig gewesen, weil der Gastronomieleiter keinen unmittelbaren Patientenkontakt hatte.
Anders lag der Fall bei einer Kinderkrankenschwester, die nach einer Impfung gegen Schweinegrippe stark erkrankte. Das Sozialgericht Mainz erkannte einen Arbeitsunfall an, weil die Klinik die Immunisierung dringend empfohlen hatte. Zudem sei sie von der Ständigen Impfkommission für Beschäftigte im Gesundheitswesen dringend empfohlen worden.
Entschädigungsanspruch bei Corona-Schutzimpfung
Bietet ein Unternehmen seinen Beschäftigten eine Immunisierung gegen Covid-19 an, besteht im Falle eines Impfschadens gemäß § 2 Nr. 11 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein Entschädigungsanspruch aus § 60 IfSG. Die Frage, ob Arbeitsunfall oder nicht, stellt sich also gar nicht.
Haftungsrisiken vorbeugen
Mit Blick auf etwaige Haftungsrisiken gilt der Kommunikation im Vorfeld betrieblicher Impfungen ein besonderes Augenmerk: Unternehmen sollten klarstellen, dass die Grippeimpfung ein freiwilliges Angebot und nicht verpflichtend für die Beschäftigten ist. Laut Bundearbeitsgericht ist der Betriebsarzt, der die Impfungen durchführt, ordnungsgemäß und sorgfältig auswählen, damit der Arbeitgeber sich Aufklärungsfehler nicht zurechnen lassen muss. Ratsam ist auch: Auf externe und nicht angestellte Betriebsärzte für die Impfung zurückzugreifen und diesen die Einladung zur Impfung zu überlassen. So lässt sich deutlich machen, dass kein Behandlungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewollt ist.
2. Darf der Chef Überstunden anordnen, um den kranken Kollegen zu vertreten?
Meist regeln Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag, dass Arbeitgeber Überstunden anordnen können. Dabei gilt laut Bundesarbeitsgericht: Gültig sind entsprechende Klauseln nur, wenn für Arbeitnehmer*innen erkennbar ist, wieviel Arbeit maximal auf sie zukommen kann. Fehlen entsprechende Veinbarungen, dürfen Vorgesetzte ohne Zustimmung des Betriebsrats oder Mitarbeiters nur in echten Notfällen Überstunden anordnen, etwa wenn eine LKW-Lieferung sich infolge eines Staus verspätet. Kranke Kolleg*innen taugen nicht als Grund. Doch wenn beispielsweise der Ablauf von Fristen droht, können Aufgaben nicht einfach liegen bleiben und Kolleg*innen müssen die Arbeit so gut es geht übernehmen. Der Praxistipp lautet deshalb: Vorgesetzte sollten die zusätzliche Arbeit infolge der Vertretung möglichst auf mehrere Schultern verteilen und Wertschätzung für den außerplanmäßigen Einsatz zeigen. Ausnahmen gelten für Schwangere und stillende Mütter: Sie dürfen gemäß § 4 Mutterschutzgesetz nicht mehr als achtenhalb Stunden täglich arbeiten.
3. Wie lange dürfen Eltern kranker Kinder zu hause bleiben?
Wenn Kinder unter zwölf Jahren erkranken, stehen Eltern vor der Herausforderung: Wer geht mit dem Kind zum Arzt und betreut es zu Hause? Fehlt eine Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag, dann gilt: Arbeitnehmer*innen haben in diesem Fall einen Anspruch auf Freistellung und Krankengeld nach § 45 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB). Je Kind stehen Beschäftigten bis zu zehn Arbeitstage im Kalenderjahr zu, für Alleinerziehende sind es 20 Tage. Voraussetzung ist: Keine andere Person des Haushalts kann mit dem Kind zu Hause bleiben. Beide Elternteile sollten sich die Betreuung also aufteilen. Die Altersgrenze von zwölf Jahren gilt nicht für Kinder, die auf Hilfe angewiesen sind oder eine Behinderung haben.
Infolge der Corona-Pandemie gelten bis zum 19.03.2022 Ausnahmen:
- Ehepaaren stehen pro Elternteil je Kind 30 Krankentage zu.
- Bei mehr als zwei Kindern ist der Anspruch auf höchstens 65 Tage begrenzt.
- Alleinerziehenden haben Anspruch auf maximal 60 Kinderkrankentage.
4. Lohnfortzahlung während der Betreuung kranker Kinder
Es gibt keine gesetzliche Pflicht, Mitarbeiter*innen bei vollen Bezügen freizustellen. Oft regeln Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsvertrag, wie viele Tage Beschäftigte bei voller Bezahlung zu Hause bleiben können, um kranke Kinder zu betreuen. Unternehmen können die Entgeltzahlung sogar ganz ausschließen mit Formulierungen wie: „Nur tatsächlich geleistete Arbeit wird auch vergütet.“ Oder: „§ 616 BGB wird explizit ausgeschlossen.“ In jedem Fall haben gesetzlich Versicherte nach § 45 SGB V Anspruch auf Kinderkrankengeld, das in der Regel 70 Prozent des Bruttoverdienstes beträgt, maximal 90 Prozent.
Erkrankt ein Arbeitnehmer nach einer freiwilligen Grippeschutzimpfung, die der Arbeitgeber angeboten hat, besteht in der Regel kein Entschädigungsanspruch wegen eines Arbeitsunfalls. Um Haftungsrisiken zu reduzieren, gilt besonderes Augenmerk der Kommunikation und der Auswahl der Ärzte, die die Immunisierung durchführen.
Ob es um Überstunden für kranke Kollegen geht oder um kranke Kinder: Bestenfalls stellen sich Fragen zum Arbeitsrecht erst gar nicht. Unternehmen, die Engpässen in der Grippe- und Erkältungszeit mit einer vorausschauenden Personalplanung und gut geplanten Vertretungsregeln vorbeugen, punkten bei Mitarbeiter*innen. Mütter und Väter sollten möglichst in Teams arbeiten, um die Arbeit notfalls auf mehrere Köpfe zu verteilen.