Grundsätzlich erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann am Ende des Kalenderjahrs oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt und darauf hingewiesen hat, seinen Urlaub zu nehmen und der Anspruch ansonsten verfällt (siehe dazu auch bereits das Insight: Arbeitsgerichte verschärfen Informationspflichten der Unternehmen im Urlaubsrecht).
Das BAG hatte nun die Frage zu klären, ob die Urlaubsansprüche der Verjährung unterliegen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen und erklärt hat, dass der Anspruch anderenfalls erlischt. Die Entscheidung hat das BAG mit Beschluss vom 29. September 2020 vorerst ausgesetzt und die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Az.: 9 AZR 266/20 (A)).
Mehr als 100 Urlaubstage angesammelt
In dem zu Grunde liegenden Fall hatte eine Angestellte die Abgeltung von insgesamt 101 Urlaubstagen verlangt, die sich über mehrere Jahre angesammelt hatten. Schon am 1. März 2012 hatte ihr der Arbeitgeber bestätigt, dass ihr Resturlaubsanspruch von 76 Tagen (aus dem Kalenderjahr 2011) am 31. März 2012 nicht verfalle, da sie den Urlaub aufgrund des erhöhten Arbeitsaufwands nicht habe antreten können. In den folgenden Jahren sammelten sich noch weitere nicht genommene Urlaubstage an. Im Februar 2018 verlangte die Klägerin schließlich die Abgeltung von 101 Urlaubstagen.
Der Arbeitgeber konterte mit dem Argument der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist sei schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2017 abgelaufen.
LAG Düsseldorf sieht Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers
Das Landesarbeitsgericht (LG) Düsseldorf war als Vorinstanz dieser Argumentation nicht gefolgt: Es entschied, die Klägerin habe Anspruch auf die Abgeltung von 76 nicht in Anspruch genommenen Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 (dass nicht die geforderten vollen 101 Urlaubstage abgegolten werden sollten, beruhte darauf, dass die Klägerin nur das Vorliegen von 76 offenen Urlaubstagen substantiieren konnte). Es könne im Ergebnis offen bleiben, warum eine Verjährung abzulehnen sei. Dies könne daraus folgen, dass die allgemeinen Verjährungsregeln des BGB per se durch das eigenständige Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG als speziellere Regelung verdrängt würden. Alternativ könne auch in Anlehnung an die Entscheidungen des BAG vom 19. Februar 2019 und vom 25. Juni 2019 (Az.: 9 AZR 423/16; 9 AZR 546/17) argumentiert werden, dass der „alte“ Urlaub in den Fällen, in denen der Arbeitgeber – wie hier – seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfülle, mit dem jedes Jahr neu entstehenden Urlaubsanspruch verschmelze und dessen Schicksal vollumfänglich teile. Jedenfalls verjähre der Urlaubsanspruch nicht, urteilte das LAG Düsseldorf (Az.: 10 Sa 180/19).
BAG lässt Verjährung offen
Das BAG bestätigte nun, dass die Urlaubsansprüche nicht nach § 7 Abs. 3 BurlG verfallen können, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Diese Pflicht habe der Arbeitgeber in dem vorliegenden Fall nicht erfüllt. Offen ließ das BAG dann aber die Frage, ob ein Urlaubsanspruch, der nicht verfallen kann, dennoch der Verjährung gemäß §§ 194 ff. BGB unterliegen kann. Diese wichtige Frage soll nun der EuGH beantworten.
Urlaub bei durchgehender Krankheit
Die Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen und der Mitwirkungsobliegenheiten der Arbeitgeber beschäftigt die Gerichte schon länger. Insbesondere aber beim Zusammentreffen von Urlaubsansprüchen und Krankheit bestehen dabei noch einige Unklarheiten (siehe etwa Bruck, Unbegrenzter Urlaub nun auch bei Krankheit?, DB 2020, 562). So hat das BAG auch unlängst erst dem EuGH die Frage zur Klärung vorgelegt, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können (BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020 – Az.: 9 AZR 401/19 (A)).
Nicht nur in der vorliegenden Vorlage an den EuGH geht es daher um die Frage nach der Möglichkeit unbegrenzter Ansammlung von Urlaubsansprüchen. Der EuGH wird sich vorliegend nun zu der Verjährung äußern. Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung des EuGH weiter zur Klarstellung und Konturierung des Urlaubsanspruchs beiträgt.
Sollte der EuGH dabei in dem anderen Vorlageverfahren (Az.: 9 AZR 401/19 (A)) entscheiden, dass der Urlaubsanspruch nicht nach 15 Monaten verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht entsprechend informiert, wird es auch hier entscheidend auf die Verjährung der Urlaubsansprüche ankommen.
Die Entscheidung des EuGH zur Verjährung von Urlaubsansprüchen kann richtungsweisend sein. Sollten die Ansprüche der Verjährung unterliegen, käme das den Arbeitgebern entgegen und würde sie bei ihren Mitwirkungsobliegenheiten zumindest etwas entlasten.