Entgeltfortzahlung während der Kündigungsfrist
Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeiten, sofern sie nicht freigestellt wurden.
Erkrankt ein Arbeitnehmer in dieser Schlussphase des Arbeitsverhältnisses, hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).
Voraussetzung ist allerdings, dass er nachweisen kann, dass er „arbeitsunfähig erkrankt“ war. Ohne Nachweis kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Das Mittel, um diesen Nachweis zu erbringen, ist die sog. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Denn der Beweiswert der AU ist im Streit um den Entgeltfortzahlungsanspruch sehr hoch.
Aber auch der Beweiswert einer AU kann erschüttert werden. Denn verdächtig erscheint es, wenn die Krankschreibung taggenau mit der Dauer der Kündigungsfrist zusammenfällt. „Nachtigall, ick hör Dir trapsen“, wird manch ein Arbeitgeber denken und keine Entgeltfortzahlung leisten (wollen). Zu Recht?
Krank bis zum letzten Tag
Ja, urteilte zuletzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein (Urteil v. 02.05.2023, Az.: 2 Sa 203/22).
Eine Arbeitnehmerin hatte ihren Arbeitsvertrag zum 15.06.22 mit Schreiben vom 04.05.22 gekündigt. Einen Tag nach der Kündigung wurde sie arbeitsunfähig krank und mit insgesamt fünf aneinander anschließenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen exakt für die gesamte Kündigungsfrist krankgeschrieben. Der Grund: Überlastung und psychische Beeinträchtigungen mit körperlichem Unwohlsein als Folge.
Der Arbeitgeber glaubte allerdings nicht, dass die Frau tatsächlich arbeitsunfähig krank war. Die Krankschreibungen exakt von Anfang bis zum Ende der Kündigungsfrist kamen dem Arbeitgeber verdächtig vor. Er sah den Beweiswert der „AU“ erschüttert und leistete keine Entgeltfortzahlung. Die Arbeitnehmerin klagte auf Zahlung.
Beweiswert der AU erschüttert
Grundsätzlich ist der Beweiswert einer AU sehr hoch. Andernfalls wäre es kaum vorstellbar, wie das System der Krankschreibung und Entgeltfortzahlung funktionieren sollte, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht grundsätzlich auf die Krankschreibungen durch Ärzte verlassen könnten.
Der Beweiswert einer AU ist allerdings nicht absolut unerschütterlich. Denn kann ein Arbeitgeber Fakten vortragen, die zu Zweifeln an der Erkrankung des Mitarbeiters führen, kann der Beweiswert der AU komplett entfallen.
Einen solchen Fall sah das Gericht hier. Die Folge: ohne Nachweis für die Erkrankung kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die Zahlungsklage scheiterte.
Damit greift das Gericht ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2021 auf. Das BAG hatte geklärt, dass der Beweiswert einer AU erschüttert sei, wenn sie exakt für die Dauer der Kündigungsfrist ausgestellt wurde. Dass hier mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden waren – und nicht nur eine –, machte für das LAG Schleswig-Holstein in diesem Fall keinen Unterschied.
Interessant ist, dass das Gericht zu diesem Schluss kam, weil sich die Frau mit ihrem Kündigungsschreiben „verraten“ hatte. Denn das Kündigungsschreiben ließ erkennen, dass die Frau selbst nicht damit rechnete, nach der Kündigung noch einmal zur Arbeit zu erscheinen (wobei dies mehr zwischen den Zeilen zu lesen war, siehe Urteilstext).
Für Arbeitgeber bedeutet das, dass sie den Beweiswert einer AU nicht immer als absolut hinnehmen müssen. Liegen nachweisbare Indizien und Umstände vor, dass der Arbeitnehmer nicht wie attestiert krank war, kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sogar vollständig entfallen.
Was wir für Sie tun können!
Sie haben Fragen zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen? Benötigen Sie Unterstützung in einem konkreten Fall? Sprechen Sie uns gerne an!
Das Wichtigste kurz zusammengefasst:
- In Verfahren um Ansprüche auf Entgeltfortzahlung ist der Beweiswert einer „AU“ sehr hoch.
- Wird ein Arbeitnehmer passgenau für die Dauer der Kündigungsfrist krankgeschrieben, kann das den Beweiswert der AU erschüttern.
- Erfolgt die Krankschreibung mit mehreren Bescheinigungen exakt für die Dauer der Kündigungsfrist, macht das rechtlich keinen Unterschied.